Basiswissen Philatelie (VI) – Bestimmung des Zähnungsmasses

Hallo

Welches Zähnungsmass haben die Marken der Freimarkenserie Berufe und Sehenswürdigkeiten an der Saar? Diese Frage kann mit Hilfe eines einschlägigen Briefmarkenkataloges rasch beantwortet werden. Das Zähnungsmass, auch als Zähnungszahl oder Zähnungsgrad bezeichnet, ist 14 x 14 (auch 14:14). In einigen Katalogen findet sich auch verkürzt K14, wobei das ‹K› für Kammzähnung steht.

  • Doch was bedeutet dieses Zähnungsmass?
  • Wie messen wir es?
  • Wieso sollten wir Sammler uns damit beschäftigen?

Die ersten Briefmarken, die Mitte des 19. Jahrhunderts ausgegeben wurden, wiesen noch keine Perforation, keine heute für Briefmarken typischen Zähne auf. Diese ersten Briefmarken wurden vom Postbeamten mit der Schere aus dem Schalterbogen geschnitten. In Geschäften und Unternehmen, die häufig ganze Bogen oder Bogenteile bei der Post kauften, war hierfür ein Mitarbeiter zuständig.

One Penny Black von 1840. Dieses Exemplar wurde mit einem ungewöhnlich gleichmässigen Rand aus dem Bogen geschnitten.

In Grossbritannien wurde schon wenige Jahre nach Ausgabe der ersten Briefmarken darüber nachgedacht, wie man die einzelnen Marken einfacher als mit der Schere aus dem Schalterbogen trennen könnte. Zuerst experimentierte man mit rotierenden Messerchen, die in gerader Linie und in regelmässigen Abständen zwischen den einzelnen Marken kleine Schnitte ins Papier stachen. Das Durchstechen (frz. la perçage, engl. rouletting) war eine Verbesserung führte aber häufig zu Rissen in den Marken, weshalb weiterhin zur Schere gegriffen wurde. Nur schnitt man nun entlang der Durchstiche.

Die zündende Idee war die regelmässige Entfernung von Papier durch geschärfte Lochstifte. Sie alle kennen wahrscheinlich die Revolver-Lochzange, mit deren unterschiedlich grossen Lochstiften ein zusätzliches Loch in den Gürtel gestanzt werden kann, wenn das Essen im Urlaub wieder einmal zu üppig ausfiel.

© Diktum GmbH

Mittels solcher Lochstifte, in gleichmässigen Abständen als Kamm auf eine Leiste oder als Kreuzkamm auf ein Gitter montiert – für die verschiedenen Varianten klicken Sie hier, wurden die Schalterbögen nach dem Druck zwischen den Markenbildern gelocht. Der Philatelist spricht von Perforation. Im Gegensatz zum Durchstich mittels Messer, wurde bei der Lochung – denken Sie ans Lochen von Papier vor dem Abheften im Ordner – Papiermaterial entfernt, was die Trennung der Marken – immer noch ein Zerreissen von Papier, nur weniger – aus dem Bogen sehr vereinfachte. Die Briefmarken waren zu ihren Zähnen gekommen.

One Penny Red von 1855

Schnell fand man heraus, dass eine Lochung mit weitem Abstand zwischen den einzelnen Löchern zu unbefriedigenden Ergebnissen führte, da immer noch viel Papier zu zerreissen war. Ebenso wurde die Verwendung von Lochstiften mit grossem Durchmesser schnell aufgegeben. Kleine Löcher, dafür eng beieinander erbrachten die besten Resultate.

Die Kennzahl, die uns angibt, wie eng die einzelnen Perforationslöcher angebracht wurden, ist das Zähnungsmass. Es wird berechnet als die Anzahl Zähnungslöcher pro 2 Zentimeter. Konkretes Beispiel: Der 1 Mark-Wert der Berufe und Sehenswürdigkeiten an der Saar mit dem Bildmotiv Saarschleife bei Mettlach ist 22,5 Millimeter hoch und knapp 41 Millimeter breit. Wir zählen 17 auf 29 Zähnungslöcher. Auf 2 Zentimeter gerechnet, ergibt dies 14 x 14 (Breite x Länge). Auf den vorstehenden Absatz angewandt gilt bis zu einem gewissen Grad: je höher das Zähnungsmass ist, desto leichter lassen sich die Briefmarken voneinander trennen.

Das Zähnungsmass ist nicht in allen Fällen auf allen Seiten der Briefmarke gleich: Es kommt durchaus vor, dass die waagerechten Seiten mit 14 ¾ gezähnt sind und die senkrechten Seiten mit 14. Diese unsymmetrische Zähnung wird in der Literatur mit 14¾ x 14 (auch 14¾:14) wiedergegeben. Es gibt auch Briefmarkenausgaben, die im Verlauf der Gültigkeit ein- oder mehrmals nachgedruckt wurden und dabei eine unterschiedliche Perforation erhielten. Dies kann sich – je nach Seltenheit der einzelnen Zähnungsmasse – rasch im monetären Wert der Marke niederschlagen.

Nun können wir zwar das Zähnungsmass berechnen; die einen im Kopf, die anderen mit Taschenrechner. Wir müssen es aber nicht. Es gibt viel interessantes Zubehör, welches uns diese Rechenarbeit abnimmt und in einigen Fällen auch Zusatznutzen bietet. Und dies sogar für kleines Geld.

Dieses Zubehör ist der Zähnungsschlüssel (frz. odontomètre, engl. perforation gauge, perforation tester). Ein einfaches Gerät, welches uns Sammler über optische, optisch-mechanische oder sogar digitale Ansätze das Rechnen abnimmt. Klingt gut? Ist es auch.

Von oben nach unten: Die einfachen Zähnungsschlüssel von Leuchtturm und Lindner.

All diesen Zähnungsschlüsseln ist gemeinsam, dass wir zur Bestimmung des Zähnungsmasses unsere Briefmarke solange auf den ausschliesslich optisch wiedergegebenen Zähnungen auflegen müssen, bis wir eine genaue Übereinstimmung erhalten. Sie merken schon: diese Methode ist schnell und günstig, aber auch mit einer gewissen Unsicherheit behaftet.

WICHTIG: Für die Messung von Marken auf philatelistischen Belegen sind im Fachhandel transparente Varianten des Zähnungsschlüssels erhältlich.

Ein optisch-mechanisches Zubehör ist die Phila Combi-Box aus dem Haus Lindner.

Dieses Zubehör vereinigt den Zähnungsschlüssel mit einer Schale für die Wasserzeichensuche mittels chemisch reinem Benzin. Bei der Phila Combi-Box sind die Zähnungslöcher nicht nur aufgezeichnet, sondern als kleine Stifte ausgeführt. So findet ihr durch vorsichtiges Anlegen der Briefmarke rasch das korrekte Zähnungsmass. Wie das aussieht? Seht selbst.

Was wir benötigen: Phila Combi Box, Briefmarke, Pinzette
Die Marke – vorsichtig – mit der Pinzette den Zähnungsschlüssel entlangfahren, bis Stifte und Zähnung exakt zusammenpassen.
Zähnungsmass 14, was messe ich überhaupt … steht doch schon oben auf der Marke, oder?

Ich persönlich erachte die computergestützten Varianten des Zähnungsschlüssels für sehr praktisch, da sich das sehr genaue Ergebnis der Messung speichern und ausdrucken lässt. Alles, was es zur Zähnungsbestimmung braucht, ist ein Scan oder ein Foto unserer Briefmarke.

Für das weit verbreitete Betriebssystem Microsoft Windows gibt es den PERFOMaster 3000 aus dem Haus Buxsoft. Dieses arbeitet unter der steinzeitlichen Version Windows XP genauso wie unter Windows 7, aber genauso tadellos unter Windows 10. [Anm.: Inzwischen brachte Buxsoft den PERFOMaster 4000 heraus, welcher auch unter Mac OS läuft]

Für Mac OS X sowie iOS gibt es die Applikation Stamp Analyser des Software-Entwicklers Rakium Inc. aus den USA. Neben dem Zähnungsmass ermittelt diese Software auch noch den in den USA sehr entscheidenden «Grade» (Zentrierung) der Briefmarke. Besitzer eines iPhones können mittels der integrierten Kamera die Aufnahme einer Briefmarke direkt in die Software einlesen und analysieren. Die App erkennt auch selbständig die Skalierung der Abbildung, kann damit in der Regel auch auf Angebote aus ebay, Delcampe & Co. angewendet werden. Für mich ein Muss für alle Philatelisten.

Schaut euch bitte die Ergebnisse der beiden softwarebasierten Lösungen genau an. Ihr werdet feststellen, dass das Zähnungsmass einer gewissen Bandbreite unterworfen ist. Ich habe für die Messungen unter beiden Systemen denselben Scan derselben Briefmarke verwendet. Die Variation resp. die kleinen Abweichungen des Ergebnisses sind völlig normal. Das Zähnungsmass bleibt 14×14.

Wofür benötigen wir nun diese Messzahl Zähnungsgrad? Zur Erkennung von seltenen Abarten und unerwünschten Fälschungen. Bei der Perforation und der Zähnung einer Briefmarke gibt es viele Ansätze, um aus einer häufigen, günstig zu erwerbenden Marke, eine seltene, gesuchte und damit teurere Marke zu basteln. Oft werden Briefmarken mit schlechter, beschädigter Zähnung nachgezähnt. Dies bedeutet, dass die Zähnung repariert wird und für Otto-Normalsammler wie eine unbehandelte Zähnung aussieht. Es gibt jedoch auch Fälle, wo skrupellose Fälscher durch Anbringung eines anderen Zähnungsgrades als des ursprünglich vorhandenen, selten vorkommende Mischzähnungen herstellen.

In all diesen Fällen helfen uns Zähnungsschlüssel. Ihr könnt euch sicherlich gut vorstellen, dass auf Briefmarkenbörsen oder -messen die rasche und unkomplizierte Bestimmung des Zähnungsgrades und der Dimensionen einer Briefmarke über die Kamerafunktion eines Smartphones viel Geld wert sein kann.

Bis dann

#saarphila #saarphilatelie

Basiswissen Philatelie (V) – Ist die Philatelie eine Wissenschaft?

Hallo

Vor mir liegt die aktuelle Ausgabe der DBZ vom 16. Februar 2018. Unter der Rubrik Postgeschichte schreibt Reinhard Krüger über das Verhältnis von Philatelie und anerkannten (von wem?) Wissenschaften. Der Untertitel seines Artikels lautet vieldeutig: «Philatelie als Wissenschaft?»

DBZ 5/2018 vom 16. Februar 2018

Zu Beginn seines Artikels benennt Reinhard Krüger eine der Hauptfunktionen der Philatelie: «Wenn die Philatelie […] einen Menschen glücklich macht, dann hat sie eine ihrer wesentlichen Aufgaben erfüllt.»

Dieser Aussage stimme ich zu und könnte meinen Beitrag beenden, denn es ist alles gesagt: «Die Philatelie, das Briefmarkensammeln und der hieraus resultierende Erkenntnisgewinn soll den Philatelisten, den Sammler glücklich machen».

Doch im Titel meines Beitrages stelle ich die Frage, ob Philatelie eine Wissenschaft sei? Diese Frage habe ich noch nicht beantwortet. Um auf Reinhard Krüger zurückzukommen. Kann Glück, so erstrebenswert es zweifelsohne ist, eine Aufgabe von ernster Wissenschaft sein? Sind wir mit dem Homo Philatelicus auf die schon als ausgestorben etikettierte Spezies des glücklichen Wissenschaftlers gestossen, der fröhliche Wissenschaft betreibt?

  

An anderer Stelle habe ich geschrieben, dass es vom Briefmarkensammler zum Philatelisten nur ein kleiner Schritt sei. Ich schrieb: «Sobald beim Briefmarkensammeln die Reflexion über das eigene Tun einsetzt, scheinbar in Stein gemeisselte Vorgaben und Massstäbe in Frage gestellt werden, ist der Schritt zur historischen (Hilfs-) Wissenschaft Philatelie vollzogen.»

Schon dort bezeichne ich die Philatelie als historische Wissenschaft. Stellen wir uns zu Beginn zwei einfache Fragen.

  • Was ist Wissenschaft?
  • Wie arbeiten Wissenschaftler?

Anhand der Antworten wollen wir beurteilen, ob die Philatelie Wissenschaft ist und ob sich Philatelisten als Wissenschaftler bezeichnen können.

Was ist Wissenschaft? Allgemein gesprochen ist Wissenschaft ein Begriff für die Gesamtheit des menschlichen Wissens, dessen Sammlung, Bewahrung, Tradierung sowie Erweiterung. Sowie dessen Verfälschung,  muss leider ergänzt werden. Im Speziellen ist Wissenschaft der methodische Prozess intersubjektiv nachvollziehbaren Forschens und Erkennens in einem bestimmten Bereich, der ein begründetes, geordnetes und gesichertes Wissen hervorbringt (1).

So, das wäre geklärt. Nicht? In a nutshell: Wissenschaft bezeichnet sowohl sämtliches bekanntes Wissen als auch die methodische Suche nach Erkenntnis.

Aber wie suchen wir methodisch? Wie arbeiten Wissenschaftler?

  • Am Anfang war … nein, nicht das Wort, sondern das Thema. Wir suchen uns ein Thema. Es kann nicht schaden, wenn wir zu dem Bereich, aus dem wir unser Thema wählen, schon etwas mehr wissen, als nur die Bezeichnung.
  • Danach kommt … richtig, die Fragestellung. Was wollen wir zu dem von uns gewählten Thema wissen? Was wollen wir erforschen? Es muss nicht gleich der afrikanische Kontinent sein, wie bei David Livingston (1813-1873). Wir formulieren also eine möglichst präzise Frage.
  • Jetzt wird es spannend. Wir begeben uns auf die Suche. Nicht nach einem Mörder wie der berühmte Detektiv Sherlock Holmes, aber nach Material. Wir tragen zusammen, einerseits was andere vor uns zu unserem Thema geschrieben haben (Literatur), andererseits Forschungsmaterial (Quellen, Proben etc.), und schlussendlich die Forschungsinstrumente resp. den Zugang zu selbigen.
  • Im nächsten Schritt sichten und dokumentieren wir das vorhandene Material, wobei wir unser Thema und unsere Fragestellung nicht aus den Augen verlieren sollten.
  • Nun geht es an die Beschäftigung mit den Quellen resp. Proben. Wir stellen logische Beziehungen her, testen, behandeln, überprüfen, experimentieren, verifizieren und dokumentieren. Dabei hinterfragen wir ständig unser Handeln und dessen Nachvollziehbarkeit. Kurz, wir forschen!
  • Unsere Erkenntnisse machen wir anderen zugänglich, indem wir einen hoffentlich lesbaren Artikel verfassen und publizieren.
  • Aus unserer Beschäftigung mit unserem Thema hat sich in den meisten Fällen eine weitere Fragestellung ergeben, womit die wissenschaftliche Arbeit weitergeht.

Klingt kompliziert? Ist es nicht. Die vorstehende Aufzählung ist einfach abstrakt. Werden wir konkret. Womit beschäftigt sich ein Philatelist?

1 Mark-Wert, Saarland 1947

Hoffentlich noch mit Briefmarken und/oder Belegen, das ist aber nicht in jedem Fall so.

Ich beschäftige mich mit den Werten der ersten Briefmarkenausgaben für das Saarland im Jahr 1947. Solange ich diese Briefmarken nur zusammentrage, in ein Steckbuch einsortiere, mich um Vollständigkeit bemühe und mich an ihrer Schönheit erfreue, bin ich ein Briefmarkensammler – und ein glücklicher Mensch. Sobald ich mich eingehender mit meinen Briefmarken beschäftige, mutiere ich zum Philatelisten. Zum meinem Beitrag über den Unterschied zwischen Briefmarkensammler und Philatelist vgl. hier.

  • Mein besonderes Interesse gilt den Feldmerkmalen dieser Briefmarken. Das ist ein Thema.
  • Ich möchte herausarbeiten, welche Feldmerkmale diese Briefmarken aufweisen und welcher Anteil daran wiederkehrende Feldmerkmale sind. Dies ist eine Fragestellung. Eine andere: Wie wurden die 63’600’000 Millionen Marken der 1. Offenburger Ausgabe hergestellt?
  • Ich suche und lese alles, was über mein Thema geschrieben wurde. Darüber hinaus baue ich meine Sammlung gezielt aus. Das ist Materialsuche.
  • Ich sichte und dokumentiere mein Material beständig.
  • Ich beschäftige mich mit dem Material, um nachvollziehbare und verifizierbare Antworten auf meine Fragestellungen zu finden. Dazu ziehe ich externe Quellen und Experten zu Rate. Die unternommenen Schritte und die Ergebnisse/Erkenntnisse dokumentiere ich chronologisch. Das ist Forschung.
  • Ich publiziere meine Erkenntnisse und mache sie damit Dritten zugänglich. Noch nicht als Artikel, aber im Rahmen des Saaphila-Blogs.

Zum Abschluss dieses Beitrags noch einmal zurück zu dem Artikel von Reinhard Krüger. Wie ich seine Argumentation verstehe, sieht der Autor die Philatelie als Analyse-Instrument zur Quellenforschung durch Historiker, Philologen und Literaturwissenschaftler. Er ermuntert die Wissenschaftler in lobenswerter Weise, sich vermehrt mit den philatelistischen Hintergründen ihrer Themen und den in der Philatelie erprobten Verfahren zu beschäftigen.

Die Aufgabe der Philatelisten sieht er als reine Zuträger, wenn er inaus meiner Sicht unzulässiger Verkürzung philatelistischer Forschung schreibt:

«Von historischen Forschungsinteressen geleitet, bringen sie ihre Kenntnisse ein, tragen dazu bei, auch die postgeschichtlichen Daten, die sich auf Postsendungen befinden, als Informationsquelle für die Deutung der historischen Sachverhalte in die Forschung zu integrieren.»

DBZ, 5/2018, S. 32, 4. Spalte

Zwar ist es richtig, dass für Historiker je nach Forschungsbereich die Philatelie eine sehr nützliche Hilfswissenschaft sein kann. Verfügt der Historiker nicht über das nötige philatelistische Fachwissen, sollte er einen Philatelisten zu Rate ziehen. Genauso wie er vielleicht einen Linguisten, Archäologen oder Kunsthistoriker zu Rate zieht. Umgekehrt bedient sich die Philatelie unter anderem geschichtswissenschaftlicher Methoden und Verfahrensweisen. Wird die Geschichtswissenschaft hierdurch zu einer Hilfswissenschaft der Philatelie? Kaum. Nicht umsonst hatte ich an dieser Stelle von historische (Hilfs-) Wissenschaft geschrieben. Wer wem hilft, ist oft eine Frage des Blickwinkels.

Ich bin der Meinung, die Frage, ob Philatelie eine Wissenschaft sei, ist abschliessend mit JA zu beantworten. Es ist eine Wissenschaft aus eigenem Recht, und nicht der Wasserträger anderer Wissenschaften. Die nachstehende Definition der Wissenschaft Philatelie ist meine eigene, da ich keine bessere gefunden habe.

Definition Philatelie

Die Philatelie beschäftigt sich:

  • mit der Erforschung der Art und Weise geregelter Beförderung von Poststücken aller Art,
  • mit den historischen, sozioökonomischen, politischen, rechtlichen sowie technischen Hintergründen der für die Erbringung der Beförderung verwendeten Mittel,
  • und der Abgeltung der erbrachten Beförderungsleistung,
  • unter besonderer Berücksichtigung sämtlicher involvierten Personen.

Die Philatelie bedient sich hierzu wissenschaftlicher, reproduzierbarer und verifizierbarer Forschungsmethoden aus:

  • Geschichtswissenschaft,
  • Politikwissenschaft,
  • Wirtschaftswissenschaft, Volks- und Betriebswirtschaft, Geldwesen
  • Ingenieurwissenschaften, Drucktechnik
  • Psychologie
  • und Naturwissenschaften.

Ist ein Philatelist ein Wissenschaftler? Ihr solltet für euch selbst beantworten, ob eure individuelle Art und Weise, sich mit der Briefmarkenkunde zu beschäftigen, wissenschaftlichen Kriterien entspricht. Letztendlich gilt – da gehe ich mit Reinhard Krüger einig – was ich anfänglich schrieb: «Philatelie soll den Menschen glücklich machen».

Bis dann

__________

Anmerkung

(1) Martin Carrier, Lexikon der Philosophie, Reclam, Stuttgart, 2011 S. 312

#saarphila #saarphilatelie

Basiswissen Philatelie (IV) – Postlaufzeit von Postkarten

Hallo

Auf meinen Beitrag Die Saarschleife bei Mettlach (I) erhielt ich von Thomas K. aus Saarwellingen eine Rückmeldung. Ihn erstaune die rasche postalische Beförderung von Postkarten vor etwa 80 Jahren.

Gerne nehme ich dieses Zuspiel auf und vertiefe das Thema Postlaufzeit anhand eines – Schweizer/Deutschen – Beispiels aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Ihr werdet staunen, wie vielfältig die Beschäftigung mit der Philatelie sein kann.

Zuerst einmal die Abbildung des Belegs. Was? Euch sagt der Begriff Beleg nichts?

Definition philatelistischer Beleg

Ein philatelistischer Beleg ist ein tatsächlich gelaufenes – also nachweisbar von einer oder mehreren Postdienstleistern befördertes – Poststück. Poststücke im Sinne dieser Definition können beispielsweise sein:

Zu einem philatelistischen Beleg gehören alle Stempel und soweit vorhanden  Postwertzeichen, (Beförderungs-) Vermerke, Aufkleber, Siegel oder ähnliches. Dies ist meine eigene, ganz persönliche Definition. Ich habe keine bessere gefunden.

Nichts geht über ein Beispiel. Ihr erhaltet morgen eine Rechnung von eurem Zahnarzt. Das ist zwar schmerzhaft, aber nicht so schmerzhaft wie die Füllung des Kariesloches. Die Zahnarztrechnung steckt in einem weissen Fenstercouvert und wurde mit einer Briefmarke frankiert, also freigemacht. Freimachung oder Frankatur bedeutet, das Beförderungsentgelt wurde vom Absender entrichtet. Ja, ja … ich weiss, das Beispiel ist an den Haaren herbeigezogen … Rechnungen kommen nur noch in obskuren Fällen mit aufgeklebten Briefmarken. Weiter mit dem Beispiel: Die Briefmarke wurde abgestempelt, was nachweist, dass die Briefmarke entwertet wurde.  Ja, auch dies ist selten geworden … heute erkennt man nur noch einen merkwürdigen Strichcode in meist oranger Farbe. Das Couvert der Zahnarztrechnung mit der Briefmarke und dem Stempel ist ein philatelistischer Beleg. Der Inhalt muss nicht zwingend dabei sein, kann aber bei älteren Belegen – falls vorhanden – zur Spannung beitragen.

Den diesem Beitrag zugrundeliegenden, gut erhaltenen Beleg habe ich bei meinem letzten Besuch auf der Briefmarkenbörse in Villingen-Schwenningen, also gerade ennet unserer Grenze mit Deutschland für 50 Eurocent erworben.

Nun zur Abbildung.

Was sehen wir?

  • Die Vorderseite einer Ganzsache (eingedruckter oder aufgedruckter Wertstempel, in diesem Fall 10 Rappen), der Schweizerischen Post.
  • Eine Postkarte. Die Bezeichnung «Carte Postale» auf Französisch ist dem Umstand geschuldet, dass die Karte in Yverdon aufgegeben und höchstwahrscheinlich auch dort erworben wurde. Yverdon liegt in der – überwiegend Französisch sprechenden – Welschschweiz. Der Landesname auf Französisch, Deutsch und Italienisch wie auch die Beschriftungen mit Union postale universelle (frz.), Weltpostverein (dt.) und Unione postale universale (ital.), resp. Côte réservé à l’adresse, Nur für die Adresse und Lato riservato all‘ indirizzo hat ebenfalls in der Vielsprachigkeit der Schweiz seinen Ursprung. Die Beschriftung in Rumantsch/Rätoromanisch fehlt noch, da diese Sprache erst vor 80 Jahren, durch die Volksabstimmung vom 20. Februar 1938, zur vierten Landessprache wurde.

  • Die Postkarte weist zwei Stempel auf: Der erste Stempel rechts oben – ein Kreis-Steg-Doppelbogen-Gitter-Stempel, der im unteren Bogensegment das Schweizerkreuz zeigt – wurde bei der Aufgabe in Yverdon, Kanton Vaud am südwestlichen Ende des Lac Neuchâtel, am Mittwoch, 11. November 1896 in der 9. Stunde angebracht. Der Eingang im Zielpostamt Bünde (Westf. = Westfalen) wurde auf der Postkarte am Freitag, 13. November 1896 in der Stunde zwischen 5 Uhr und 6 Uhr vormittags unten links gestempelt. Wiederum kam ein Kreis-Steg-Doppelbogen-Gitter-Stempel zum Einsatz (vgl. vorstehende Abbildungen).
  • Es handelt sich um eine Postkarte im internationalen – also grenzquerenden – Postverkehr von der Schweiz in das Deutsche Kaiserreich (1871-1918). Beide Länder Mitglieder des Weltpostvereins. Zum Stichwort Weltpostverein im Hinblick auf Postkarten schreibe ich nachfolgend noch einige Zeilen.
  • Der Adressat der Postkarte ist Herr Fritz Schrëyer. Es fällt auf, dass in der Adresse ausser dem Namen, dem Ort und dem Zielland keine Strasse und auch keine Hausnummer aufgeführt ist. In der hierfür vorgesehenen Zeile steht ausschliesslich Cigarrenfabrik. Postkarten mit unvollständiger Adresse würden heute – falls diese überhaupt jemals ihren Adressaten erreichten – wahrscheinlich durch die hochprofessionelle Nachforschungsstelle der Deutschen Post in Marburg bearbeitet werden. 1896 war eine nicht vorhandene Strasse oder Hausnummer offensichtlich kein Problem. Einer raschen Zustellung stand dieser Mangel ebenfalls nicht im Weg. Die Postbeamten kannten damals ihren Zustellungsbezirk wie auch die Menschen, die dort wohnten, wohl genauso gut wie ihre Westentasche.
  • Ebenso ist keine Postleitzahl notiert worden. Postleitzahlen, damals noch zweistellig und ausschliesslich für den Postpaketdienst vorgesehen, wurden erstmals 1941 im Grossdeutschen Reich während des Naziregimes eingeführt. 1944 wurde die Verwendung dieser Postleitgebietszahlen auch auf die Briefpost ausgedehnt. Ziel der deutschen Reichspost war eine effizientere Verarbeitung des kriegsbedingt massiv erhöhten Post- und Paketaufkommens. 1963 übernahmen die Vereinigten Staaten von Amerika – alphanumerisch – und 1964 auch die Schweiz – vierstellig – das System der Postleitzahlen.
  • Das Zielland ist korrekt auf Französisch – der internationalen Postsprache – mit Allemagne angegeben. Beschriftungen wie Deutschland oder was man heute zuhauf findet D-Postleitzahl sind falsch. Postalisch korrekt sind DE-Postleizahl (also der ISO-Ländercode) gefolgt von der Postleitzahl und/oder Postleitzahl und Ort gefolgt von Allemagne in der nächsten Zeile.
  • Fast verdeckt durch den Eingangsstempel von Bünde erkennen wir noch einen alphanumerischen Code: VI-96 – 1,344.000

Findet ihr es nicht auch erstaunlich, dass eine Postkarte aus der Schweiz ins Deutsche Kaiserreich im Jahr 1896 eine Beförderungszeit unter 48 Stunden hatte? Wohlgemerkt: In einer Zeit, als noch keine Flugzeuge, geschweige denn eine reguläre Luftpost existierte! Die Lokomotiven der Züge noch von Hand an Schaufel mit Kohlen befeuert wurden! Und zwischen den einzelnen Ländern Europas Grenzen gezogen waren und die dazu gehörigen Grenzkontrollen von den Grenzbeamten auf das penibelste durchgeführt wurden. Von der Zensur ganz zu schweigen, auch wenn diese in Friedenszeiten zugegeben in der Regel locker gehandhabt wurde.

48 Stunden für wie viele Kilometer? Für was für eine Distanz? Nehmen wir den Atlas, den Zirkel und das Lineal hervor. Habe ich das wirklich geschrieben? In Zeiten von Google Maps? Ja, das habe ich. Versucht einmal die Luftlinie – nicht die schnellste Verbindung über die Strasse – zwischen Yverdon und Bünde über Google Maps herauszufinden! Mit Zirkel und Atlas bin ich da viel schneller. 800 Kilometer as the crow flies, wie die Briten es ausdrücken würden. Doch die Postkarte wurde nicht mit der Taubenpost, sondern mit der Eisenbahn über eine andere Route befördert:

  • Yverdon (Aufgabe bei der Post, direkt am Bahnhof)
  • Bern
  • Olten
  • Basel SBB
  • Basel (Badischer Bahnhof, Grenzkontrolle)
  • Karlsruhe
  • Frankfurt
  • dann streiten sich die Geister – Hannover oder Dortmund?
  • Löhne
  • Bünde in Westfalen (erst Bahnhof, dann Eingang beim Postamt)

Da sind wir mal rasch bei 900 Kilometern. Züge fuhren um 1900 mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von weniger als 80 km/h. Solange sie fahren konnten. Der Halt im Bahnhof beispielsweise war länger als heute, denn die Fahrgäste hatten menschliche Bedürfnisse: Zufuhr und Abfuhr! Toiletten in den Waggons oder rollende Restaurants? Ausschliesslich in den Luxuszügen der CWL zu finden. Auch fuhren nur wenige Züge in der Nacht und dies waren entweder transkontinentale Luxuszüge wie beispielsweise Basel-London oder Berlin-Antwerpen sowie einige wenige Güterzüge. Die Bahnhöfe und manuellen Stellwerke waren in der Nacht häufig nicht besetzt. Irgendwann mussten Bahnhofsvorstand und Wärter ja auch einmal essen, feiern, schlafen! Dazu kamen die Zollkontrollen, und die – wohlverstanden manuelle – Umsortierung der aufgelieferten Post in Olten und in Frankfurt. Noch nicht einmal 48 Stunden von Einlieferung in der Schweiz bis Zielpostamt Bünde wären selbst heute mit Luftpost rekordverdächtig. Nur, der hier vorgestellte Beleg ist nur einer von Vielen! Diese kurze Beförderungszeit für Postkarten war zumindest innerhalb Westeuropas Standard! Unvorstellbar!

Diese rasche Zustellung – und wir können davon ausgehen, dass die Postkarte am Tag der Ankunft in Bünde ihren Empfänger erreichte – ohne eine vollständige Adresse! Weshalb dies in Bünde jedoch kein Problem darstellte, werde ich euch kurz erläutern. Damit nähern wir uns bei unserer Betrachtung des Beleges «Postkarte von Yverdon nach Bünde» der Social Philately.

Social Philately ist Neudeutsch und damit ein, wie bei all diesen Worthülsen wie Manager oder noch besser Executive Manager, Support Agent etc., ein Begriff, der nicht nur im Deutschen erst einmal einer genauen Definition bedarf. Denn unter sozialer Philatelie oder an der Gesellschaft orientierter Philatelie kann sich wohl niemand etwas vorstellen. Und diese Unschärfe des Begriffes ist von dessen Erfindern durchaus gewollt. Dabei verbirgt sich hinter diesem aufgeblasenen englischen Wortgebilde nichts anderes, als die Beschäftigung mit den zeitlichen und örtlichen Hintergründen der Entstehung von philatelistischen Objekten unter besonderer Berücksichtigung der hierbei involvierten Personen. Diese Definition ist meine eigene. Ich habe bislang keine bessere gefunden. Auf Deutsch: Wir schauen uns nicht nur die Postkarte mit ihrem Wertstempel und Poststempel an, sondern fragen uns:

  • Wer hat wem was warum geschrieben?
  • Wie und weshalb gelangte das Objekt von A nach B und danach in unseren Besitz?

Das ist keine Hexerei! Die intensive Beschäftigung mit einem philatelistischen Objekt kann sogar sehr spannend sein. Doch wieso finden wir erst seit etwa zwei Jahren in jeder Briefmarkenzeitschrift, die wir lesen, mindestens einen Artikel zu diesem Thema? Ein bekanntes deutschsprachiges Briefmarken-Magazin gab im letzten Jahr sogar eine umfangreiche Sonderbeilage zu dieser Thematik aus und sah darin sogar «Die Zukunft des Sammelns». Was steckt hinter diesem Hype, dieser künstlich aufgebauschten Aufregung? Es sind aus meiner Sicht mehrere Gründe! Ich möchte an dieser Stelle nicht auf alle eingehen. Nur eins möchte ich erwähnen: An einer Briefmarkenbörse oder -messe werdet ihr viele Händlerstände sehen, deren Tische sich biegen von all den Kartons mit Belegen. Da findet ihr alles: vom Vorderteil eines Couverts mit kaum leserlichen Freistempel bis zum philatelistischen Machwerk, welches niemals postalisch befördert wurde. Diese Kartons voll mit Belegen werden von unzähligen Sammlerhänden durchforstet. Doch verkauft werden nur wenige. Im Briefmarkenmarkt gilt ja wie auch sonst das Preisbildungs-Gesetz von Angebot und Nachfrage: Grosses Angebot wird selbst bei grosser Nachfrage keinen hohen Preis erzielen. Insbesondere bei einem Produkt, auf welches der Konsument verzichten kann, ohne subjektiv eine Qualitätseinbusse wahrzunehmen. Frage: Würdet ihr eine Einzelmarke im Internet für Euro 1,00 zzgl. Versandkosten kaufen, wenn ihr auf der Briefmarkenbörse den gesamten Briefmarken-Jahrgang 1981 inkl. dieser Marke für 50 Eurocent kaufen könnt? Seht ihr …

Der Trick! Macht eure Allerweltsware – ich erfinde ein Beispiel: 30 Pfennig Heinemann BRD von A nach B, zeitgerechte Frankatur, schön gestempelt auf gut erhaltenem Couvert (wie zigtausende andere) – zu einer Seltenheit. Wie? Sprecht des Sammlers Geldbörse über seine Person, über seine ganz individuelle Geschichte an. Der Sammler kommt zum Beispiel aus Legden in Westfalen. In ganz Deutschland wurden zwar zigtausende Briefe mit zeitgerechter Frankatur und mit schönem Stempel versandt. Von diesen haben auch zigtausende die Zeitläufte überdauert. Aber Belege mit einem Stempel aus Legden gibt es nur wenige. Ich habe soeben eine philatelistische Seltenheit kreiert. Die ich selbstverständlich – Angebot und Nachfrage – mit einem der Seltenheit dieses Beleges entsprechenden Preisschild versehe. Und warte nun auf einen Käufer. Nur: wie viele Sammler, die diesen Beleg suchen und einen Bezug zu Legden haben, gibt es? Das ist bei München, Hamburg oder Ludwigshafen einfacher.

So richtig tolle Belege, über deren Entstehung und weiteren philatelistischen Geschichte ihr ein Buch schreiben könntet, solche Belege gibt es! Aber die findet ihr nur selten an einer Börse. Naja, stimmt nicht ganz. Unsere Postkarte hat mich 50 Eurocent gekostet und ich habe ja berets einige Worte über diese Ganzsache geschrieben ohne einen Schluss zu finden.

Also. Weiter im Text. Wir waren beim Zielpostamt Bünde in Westfalen.

Bünde, ein beschaulicher Ort in Westfalen, etwa 20 Kilometer nördlich von Bielefeld, zwischen Teutoburger Wald und Wiehengebirge, seit 1855 an das Eisenbahnnetz angeschlossen, war und ist Deutschlands Zentrum der Tabakindustrie und wird gern als Westfalens Rauchsalon bezeichnet. 1900 bestanden in Bünde 84 Zigarrenfabriken, die-zusammen mit der Zulieferindustrie etwa 3’600 Mitarbeiter beschäftigten. Bei weniger als 7’000 Einwohnern. Eine dieser Zigarrenfabriken war Bruns & Schreyer, etwa 1870 gegründet mit Firmenadresse an der Klinkstrasse 29. Obschon Bruns & Schreyer im Jahr 1893 durch den Zigarrenfabrikanten Rudolf Lenhartz mit der Zigarrenfabrik Rehing & Blanck zusammengeführt worden war, führte Bruns & Schreyer bis 1912 die Geschäfte unter dem eigenen Namen weiter (1).  Der Name Schreyer war in Bünde somit bekannt. Für die Postbeamten im Postamt Bünde war die Zuordnung der Postkarte zur Privat- oder Firmenadresse von Fritz Schreyer – trotz überflüssigem Trema – wohl keine grossen Herausforderung. Die Gründerzeitvillen der Tabakbarone in Bünde können heute noch bewundert werden. Bünde ist vom Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges weitgehend verschont geblieben und wurde deshalb beim Wiederaufbau nicht von Architekten verschandelt, die im grössenwahnsinnigen Denken des Dritten Reiches ihre Ausbildung genossen hatten.

Wir haben bislang die Rückseite der Postkarte ausgeblendet. Das wollen wir nun nachholen.

Zuerst die Transkription:

Geehrter Herr – | Habe Ihr Postmandat mit | frs 86.50 richtig erhalten und | dem H. G. Schreyer gutgeschrieben | Ich spreche Ihnen meinen | besten Dank aus und grüsse | Achtungsvoll. | E Balhelier | Yverdon | 11.11.1896.

Darüber, wer E. Balhelier war, können wir nur spekulieren. Ich habe keine belastbaren Quellen gefunden. Er bedankt sich in seinem Schreiben für eine Postanweisung über Schweizer Franken 86,50. Eine Postanweisung ist eine internationale Geldanweisung. Der Betrag entsprach 1896 in der Schweiz etwa einem halben Monatssalär (vor Abzügen) eines gelernten Fabrikarbeiters und war eine Stange Geld. Darüber hinaus dürfte die Postanweisung für Fritz Schreyer in Bünde auch nicht kostenfrei abgewickelt worden sein. Gutgeschrieben hat E. Balhelier den Betrag dem Konto des Herrn G. Schreyer (ohne Trema).  Wer G. Schreyer war, weiss ich nicht, wahrscheinlich der Sohn oder Neffe des deutschen Tabakfabrikanten Fritz Schreyer. Nur, weshalb war G. Schreyer in Yverdon?

Eine gute Frage! Herr Schreyer hätte in der Schweiz im Urlaub geweilt und etwas über seine Verhältnisse gelebt haben. Immerhin ist Yverdon seit der Römerzeit für seine schwefelhaltigen Thermalquellen bekannt. Also ein Kuraufenthalt. Eine weitere Möglichkeit wäre der Aufenthalt von Herrn Schreyer zwecks Weiterbildung. Yverdon ist auch heute noch ein Zentrum der Schweizer Tabakindustrie. Vor 120 Jahren gab es illustre Namen wie Vautier Freres; aber auch in der näheren Umgebung Yverdons bestanden Fabriken, z. B. in Grandson, Moudon, Vevey, Lausanne, Payerne, Avenches. Dann könnte der Betrag zur Deckung der Unterbringungskosten, Fahrtkosten oder ähnlichem gedient haben. Die Schweiz war schon vor 120 Jahren keine preiswerte Destination. Vielleicht wurde bei der Planung der Reise des G. Schreyer diesem Faktor zu wenig Beachtung geschenkt.

__________

Nachtrag: Hier noch der angekündigte Nachtrag zum Stichwort Weltpostverein. Im September 1874 kamen in Bern Vertreter der Postanstalten von 22 Staaten zum ersten internationalen Postkongress zusammen und gründeten den Allgemeinen Postverein. Ziel war die Regelung der Zusammenarbeit der Postanstalten und die Rahmenbedingungen des internationalen Postverkehrs, wie zum Beispiel der Ausgleich gegenseitiger finanzieller Ansprüche aus der Post- und Paketbeförderung. Diese beruhten zuvor auf einigen bilateralen Verträgen, was die Postbeförderung über Landesgrenzen hinaus massiv erschwerte. Auf dem zweiten internationalen Postkongress 1878 in Paris wurde aus dem Allgemeinen Postverein der Weltpostverein, der seit 1947 eine Sonderorganisation innerhalb der UNO ist.

Bis dann

__________

Anmerkung

(1) Quelle: Stiftung Westfälisches Wirtschaftsarchiv

#saarphila #saarphilatelie

Basiswissen Philatelie (III) – Wie nützlich ist ein Koordinatensystem für Briefmarken?

Mein Landsmann Carl Hilty hat einmal gesagt: «Der einzige Weg, auf welchem wahre Kenntnis erreicht werden kann, ist durch liebevolles Studium.»

Ich sage: «Ich stehe auf den Schultern von Titanen, die mich an ihrem Wissen teilhaben liessen. Sie stellten mir nur eine Bedingung: ‹Gib Dein erworbene Wissen freigiebig weiter ohne je etwas dafür zu verlangen, so wie wir nichts von Dir verlangen. Halte Dich daran und nicht nur Dein Wissen, sondern auch Du wirst wachsen und eines Tages vielleicht selbst ein Titan werden.›»

Hallo

Im Beitrag Aktuell bei ebay [Anm.: im Blog-Archiv nicht mehr verfügbar] habe ich anhand eines konkreten Beispiels zeigen können, dass Feldmerkmale von Briefmarken präzise beschrieben werden sollten, um Missverständnissen vorzubeugen. Im selben Beitrag habe ich die Koordinaten eines Druckbogens der Originalausgabe Berufe und Sehenswürdigkeiten an der Saar vorgestellt: Druckbogen mit zwei Schalterbögen (A-Bogen und B-Bogen) aufgeteilt in jeweils 100 resp. bei den beiden grossformatigen Werten 50 Bogenfelder, woraus sich sozusagen die Hausnummer einer Briefmarke ergibt.

Spinnen wir heute den Gedanken Koordinatensystem einmal etwas weiter, denn die Bogenfelder allein helfen uns – wie wir gesehen haben – nicht in jedem Fall weiter. Bei dem besprochenen Ami Faux (50 Pfennig-Wert, SP28 Feld 70A zu Feld 20AB) definitiv nicht. Wir sehen ja beim Händler, auf der Messe oder auf ebay eine Marke nicht an ihrem Platz im Schalterbogen. Was wir sehen, ist meist eine einzelne Marke, ein Markenpaar, ein Viererblock ohne die zugehörige Hausnummer.

Können uns Koordinaten dennoch bei unserer Suche nach bestimmten Abweichungen vom gewünschten Markenbild helfen? Falls ja, wie müsste ein solches Koordinatensystem beschaffen sein? Und wie käme es in der Praxis zum Einsatz? Heute werden wir uns erstmals mit der äusserst umfangreichen Thematik Briefmarken-Zubehör beschäftigen.

Wir beschränkten unsere Suche nach einem passenden Hilfsmittel nicht ausschliesslich auf die Schweiz, sondern werfen auch einen Blick über die Grenzen auf das Mutterland aller Briefmarken, nach Grossbritannien. Grossbritannien und die Schweiz sind die Länder mit der weltweit längsten Briefmarkengeschichte. In beiden Ländern werden Marken mit Feldmerkmalen oder anderen spezifischen Eigenschaften gesammelt, ge- und verkauft sowie getauscht.

Was ist unser Ziel? Die Kommunikation zwischen Käufer und Verkäufer sollte klar sein, bei Vertragsabschluss Einverständnis herrschen, sonst sind Probleme vorprogrammiert. Im Ladengeschäft, auf der Briefmarkenbörse, auf dem Flohmarkt können beide Parteien miteinander reden. Dieser direkte Kommunikationskanal entfällt, wenn die philatelistische Transaktion wie so häufig über eine Internetplattform abgewickelt wird. Die Möglichkeit, den Verkäufer über die meist gebotenen Kontaktfunktionen anzusprechen, wird meist nicht genutzt. Das Internet mit seinen diversen Plattformen sowie den Onlineshops der unzähligen Briefmarkenhändler dürfte geschätzte 85% der weltweiten Umsätze im Briefmarkenhandel generieren – auch wenn die hier erzielten Preise, selbst bei qualitativ einwandfreien und kompetent geprüften Stücken offensichtlich bei den Marken-Bewertungen von einigen Katalogherausgebern komplett ignoriert werden. Jedem seine Insel, sage ich da, in Anlehnung an einen Romantitel von Johannes Mario Simmel. Über den grossen Anteil des Internets am gesamten Briefmarkenhandel sind sich die allermeisten Beobachter im deutschsprachigen Raum mit ihren Kollegen aus dem frankophonen, anglophonen und sinophonen Raum einig. Diskutiert wird schlussendlich nur noch über die Grössenordnung, also ob der Anteil nicht bereits über 90% beträgt.

Zurück zu den Koordinaten und Lösungsansätzen in Grossbritannien und der Schweiz. Aus Grossbritannien stammt ein ausgereift wirkendes Zubehör im Zusammenhang mit der Verortung von Feldmerkmalen: der Thirkell Position Finder aus dem Traditionshaus Stanley Gibbons. Eine preiswerte Schablone aus stabilem, glasklarem Plastik mit X/Y-Koordinatensystem (Zahlen/Buchstaben) und zusätzlicher Millimeterskala, die über die Briefmarke gelegt wird. Die Schablone kommt mit einer kurzen Benutzungsanleitung. Die Zeichnungen sind so selbsterklärend, dass ihr keine Schwierigkeiten bei der Anwendung haben solltet, selbst falls ihr der englischen Sprache nicht mächtig seid.

Konkurrenz erhält der Thirkell aus dem – immerhin bereits 113 Jahre bestehenden – Hause Zumstein, bekannt für seine Schweiz-Kataloge. Von Zumstein stammt der Abartensucher, eine dünne quadratische Plastikfolie, die über die zu bestimmende oder zu durchsuchende Briefmarke gelegt wird. Das X/Y-Koordinatensystem wie auch die Anwendung entspricht dem des Thirkell, jedoch lässt der Zumstein auf der Y-Achse den Buchstaben ‹I› aus.

Lakmustest: Wird die Bestimmung von Feldmerkmalen durch dieses Zubehör einfacher? Vereinfacht es die Kommunikation zwischen Verkäufern und Käufern auf Distanz? Wir werden es mit bereits bekannten im MICHEL®-Katalog unter römisch II katalogisierten Merkmal des Feldes 20AB des 50 Pfennig-Wertes der 1. Offenburger Ausgabe (BuS I) ausprobieren.

Nachstehend erst die Briefmarke – das gesuchte Feldmerkmal ist der waagerechte Farbstrich im Abschwung des S von SAAR, erinnern Sie sich? Danach die Scans der Marke mit aufgelegtem Koordinatennetz der Positionsfinder.

Bei beiden Hilfsmitteln ist das Feldmerkmal am linken oberen Rand von H2 zu finden. Für alle von euch, deren Mathematikunterricht wie bei mir schon mehrere Jahrzehnte zurückliegt:

H = Position auf der senkrechten Y-Achse, 2 = Position auf der waagerechten X-Achse des Koordinatennetzes.

Eine mögliche Beschreibung könnte also lauten: «Kurzer waagerechter Farbstrich über S von SAAR bei H2.» Das schliesst eine Verwechslung mit dem Amis Faux von Feld 70A schon einmal aus, denn dieses würde in der Mitte von G2 zu liegen kommen. Dazu gibt es an dieser Stelle keine Abbildung … ich hatte bereits Probleme, saubere Scans mit den Positionsfindern über der Marke anzufertigen, die Marke ist immer wieder verrutscht! Macht nichts! Die vorstehende Beschreibung ist auch wesentlich kürzer als die von mir vorgeschlagene im Beitrag Aktuell bei ebay . Doch bleibt die Beschreibung auch so simple, wenn das zu beschreibende Merkmal unter einer der Linien oder sogar einem Kreuzungspunkt von Linien zu liegen kommt? Nein! Die Beschreibung wird wieder sehr komplex.

Die Linien des Thirkell sind stärker als die des Abartensuchers, dafür – ein wenig ist es auf dem Scan mit dem Abartensucher zu erkennen – verschmiert man bei Verwendung die schwarze Farbe schnell. Landet zwar nicht auf der Marke, sondern auf den Fingern. Dagegen hilft Seife. Dennoch ein Makel. Falls ihr euch einen Abartensucher von Zumstein zulegen möchtet, bestellt sinnvollerweise gleich 2 oder 3 Stück.

Quintessenz: Die Hilfsmittel von Stanley Gibbons und Zumstein können mich nicht wirklich überzeugen. Obschon das Konzept durch seine einfache Handhabung und die offensichtlich gewollte Übereinstimmung in der Koordinatengestaltung besticht, ist die Linienstärke der Schablonen zu dick, um im Alltag wirklich zu helfen. Das grösste Manko: Kein mir bekannter Katalog listet derzeit Koordinaten für Abweichungen des Markenbildes. Mit diesem Mangel bleiben die beiden Tools nettes Spielzeug, aber ohne grosse Verwendbarkeit im philatelistischen Alltag.

Die einfachste und sicherste Lösung für die Beschreibung von Feldmerkmalen sind und bleiben saubere Abbildungen mit Hinweis auf das Merkmal oder die Abweichungen. Abbildungen en gros machen einen gedruckten Katalog umfangreich, was sich wiederum im Preis niederschlägt (vgl. den Philotax).

Weiterhin sind präzise Beschreibungen ein unverzichtbares Muss. Diese sollten sich hinsichtlich der Wortwahl an bestimmten allgemein verbindlichen Leitplanken orientieren. In schwierigen Fällen könnten die Beschreibungen durch ein Millimeter-Koordinatensystem ergänzt werden, welches dem Sammler exakt angibt, wo er das Feldmerkmal findet. Präzise Beschreibungen nehmen in gedruckten Katalogen ebenfalls Platz ein, was – wenn einmal umgesetzt – sich ebenfalls im Preis für den Katalog niederschlagen würde.

Was jedoch sind die einmaligen zusätzlichen Kosten im Vergleich zur eingesparten Zeit und dem durch weniger Fehlkäufe eingesparten Geld?

Bei den uns heute zur Verfügung stehenden Informationen, Darstellungsmöglichkeiten und Distributionskanälen hat sich ein Konzept der Wissensvermittlung überlebt: Teure Kataloge, die nichts weiter bieten als verschwurbelte, unverständliche und nicht nachvollziehbare Beschreibungen ohne erläuternde oder mit schlicht falschen Abbildungen, die über Jahre hinweg nicht aktualisiert/korrigiert werden. Wer in einem sich ständig veränderndem Umfeld nicht flexibel agiert, der wird verschwinden … das gilt nicht bloss für Dinosaurier.

Seid ihr unsicher, ob es sich bei der vor euch liegenden oder auf dem Bildschirm angezeigten Marke der 1. Offenburger Ausgabe um einen im MICHEL® gelisteten Plattenfehler (sic!) handelt?

Ich beantworte Anfragen in der Regel innerhalb von 24 Stunden (vielleicht nicht gerade an den bevorstehenden Festtagen). Es entstehen euch keine Kosten. Weshalb nicht? Lest mein Zitat am Anfang des heutigen Beitrags.

Die Philatelie ist nicht tot, obschon manche Journalisten und Vereinshuber nicht müde werden, in ihren Beiträgen das Ende heraufzubeschwören. Vielleicht wird die Philatelie, wie sie bislang betrieben wurde, in wenigen Jahren nicht mehr sein, als eine blasse Erinnerung. Doch die Philatelie lebt weiter, dafür sind die Millionen von Sammlern, die weltweit Jahr für Jahr einen niedrigen dreistelligen €-Milliardenbetrag für ihr Hobby ausgeben, viel zu lebendig. Wir Menschen sind alle kleine Sammler und Schatzsucher. Dennoch lässt sich nicht leugnen: Die Philatelie ist heute einem ständigen und raschen Wandel unterworfen. Doch wir Sammler sind flexibel, sehr flexibel und erfindungsreich, wenn es um unsere Freizeitbeschäftigung geht. Althergebrachte Strukturen können sich häufig nicht einfach so anpassen. Dort wirken oft mächtige Beharrungskräfte. Es geht um Pfründe, Geld und Einfluss. Wo verkrustete Strukturen langsam zur Bewegungslosigkeit erstarren, suchen wir beweglichen Sammler uns andere, neue Wege. Denn: «Rückwärts gewandt lässt sich schlecht voran schreiten.» Das wird dann das Thema eines weiteren Beitrags werden.

Bis dann

__________

Definition Ami Faux

Der Begriff Ami Faux stammt aus der Linguistik und wurde erstmals 2016 von mir zur Kennzeichnung von Briefmarken verwendet, deren sichtbare Merkmale der Beschreibung einer Abart in einem Briefmarkenkatalog oder Handbuch entsprechen, welche jedoch nicht von dem vermerkten Bogenfeld stammen. Ursache der Existenz von Amis Faux sind vage, unpräzise oder schlichtweg falsche Beschreibungen in Katalogen/Handbüchern sowie nicht vorhandene Abbildungen.

#saarphila #saarphilatelie

Basiswissen Philatelie (II) – Weshalb Saarbriefmarken sammeln?

Alexander Graham Bell soll gesagt haben: «Gehe nicht den vorgezeichneten Weg. Er führt dich nur dort entlang, wo andere bereits gegangen sind.»

Ich sage: «Schau‘ Dich aufmerksam um und Du wirst Deinen eigenen Weg erkennen. Folge ihm konsequent, dann werden Kurzweil und Erkenntnis Deine treuen Reisebegleiter sein. Wünsche Dich auf Deiner Reise jedoch nicht ans Ziel, denn dort angekommen, würdest Du nur das Reisen vermissen.»

Hallo

Einer der Leser des Saarphila-Blogs hat mich darauf hingewiesen, dass ich in dem Beitrag  Basiswissen Philatelie (I) – Freizeitbeschäftigung Philatelie? zwar davon berichtet hätte, wie ich zum Briefmarkensammler und später dann zum Philatelisten wurde, aber mit keinem Wort auf Saarbriefmarken und die französischen Briefmarkenausgaben für das Territoire de la Sarre eingegangen sei. Er hat völlig recht. Mea culpa.

Ich habe noch keine Erfahrung, geschweige denn Routine, Blogs zu verfassen. Offensichtlich ist eine Ankündigung schnell vergessen. Oder habe ich leichtfertig etwas angekündigt, was sich als schwierig umzusetzen entpuppte? Hat sich in mir – völlig unbewusst, selbstredend – etwas gegen die mit dem Thema einhergehende Preisgabe persönlichster Gedanken gesträubt? Man kann ja über alles schreiben. Ich empfinde es jedoch als schwierig, alle Schritte nachzuvollziehen, die zu einem Entscheid führten und darüber hinaus mir selbst wie den Lesern meine eigenen, mit Theodor Fontane gesprochen, Irrungen und Wirrungen einzugestehen.

Item. Ich habe mich selbst in die Bredouille gebracht, also muss ich da durch. Ich knüpfe also dort an, wo der Beitrag vom 12. Dezember 2017 endet. Im heutigen Beitrag werde ich einige Themen streifen, die ich zu einem späteren Zeitpunkt im Saarphila-Blog oder auf der Website  Saarphila.de vertiefen werde. Sie werde diese Themen beim Lesen daran erkennen, dass ich die zugehörigen Stichworte kursiv gesetzt habe.

Vor einigen Jahren reiste ich nach Kiel (die obige Abbildung zeigt Schiffe im Fährhafen) und ertappte mich bei einer Shopping-Tour im Einkaufszentrum ‹Sophienhof› dabei, wie ich gebannt vor den Regalen mit den Briefmarken, Steckbüchern, Briefmarkenkatalogen und sonstigem Zubehör stand. An diesem Tag war mit einem Schlag die Faszination für die kleinen gezackten Papiere wieder da.

Ich befand mich weit weg von daheim in der BRD, da war es wenig überraschend, dass die angebotenen Briefmarken mehrheitlich Zusammenstellungen aus deutschen Sammelgebieten waren. Der Rest bestand aus Motivsammlungen wie 50 Katzen, Blumen, Schmetterlinge, Olympia etc. eher dubioser Provenienz. Marken unbekannter arabischer Scheichtümer, Nordkoreas, kleinster Südsee-Atolle und afrikanischer Diktaturen waren friedlich in den kleinen, bunten Zellophanpaketen vereint.

Diese Briefmarken haben eins gemeinsam: sie haben das Land ihrer vorgeblichen Herkunft niemals gesehen und sind dort auch an keinem Postamt erhältlich – wofür auch. Mit hohen Nominalwerten versehen zielen diese Ausgaben klar auf die Geldbeutel westlicher Motivsammler. Beworben werden diese, i.d.R. CTO-gestempelten oder mit Stempel gedruckten und damit nicht mehr frankaturgültigen Marken mit blumigen Worten und Hinweisen wie: «Nur 85% Katalogpreis!»  Man kann in den einschlägigen Katalogen aus dem Hause Michel einiges finden … und vieles nicht … aber sicherlich findet man keine Preisangaben. Der MICHEL® bietet ausschliesslich Briefmarken-Bewertungen, und die angegebenen Werte sind utopisch. Auf diesen feinen und wichtigen Unterschied zwischen Preis und Wert werde ich in einem der kommenden Beiträge noch ausführlich eingehen.

Für mich sind solche Marken nichts anderes als Vignetten resp. Cinderellas.  Cinderellas sind Papiere, die vorgeben, Briefmarken zu sein, aber keine sind, da sie keine postalische Funktion erfüllen. Hergestellt werden diese Marken von gewieften Agenturen, die sich gegen geringe Zahlungen von nicht immer souveränen Ländern das Recht erkauft haben, Marken zu verkaufen, die speziell auf die Bedürfnisse von Sammlern abzielen. So erklärt sich, dass beispielsweise ein muslimischer Staat das chinesische Jahr des Schweins und Marilyn Monroe – aber nicht zusammen – auf Sondermarken verewigt oder ein kommunistischer Staat dem amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy eine Marke widmet.

Zurück zu den Regalen im Karstadt. Ich habe mir an diesem Tag zwei Jahrgänge ‹Deutsche Bundespost Berlin›, eine Pinzette, eine Lupe, ein Steckbuch und einen Briefmarken-Katalog gekauft. Meine Wahl fiel auf Berlin, da es sich um ein geschlossenes Sammelgebiet handelt. Der Begriff geschlossen bedeutet, es erscheinen keine weiteren Briefmarken dieses Gebiets. Meine Überlegung war dabei, dass bei einem geschlossenen Sammelgebiet die Vollständigkeit schnell zu erreichen wäre. Hier begegnet uns erstmals das Phänomen Vollständigkeit. Sammler streben nach ihr, auch wenn ich mir inzwischen die ketzerische Frage gestatte: Was ist Vollständigkeit?. Im Rückblick frage ich mich, wieso ich Vollständigkeit je als erstrebenswert angesehen habe.

Nun bietet Deutschland aufgrund seiner bis in die allerjüngste Gegenwart verworrenen, komplexen und meist kriegerischen Geschichte als Briefmarken-Sammelgebiet eine grosse Auswahl an geschlossenen Gebieten: von den Staaten, aus denen 1871 Deutschland geschmiedet wurde, über die Kolonialausgaben des Deutschen Kaiserreichs, die Besetzungsausgaben Erster Weltkrieg, die Briefmarkenausgaben der Plebiszitgebiete, die Besetzungsausgaben Zweiter Weltkrieg, die Ausgaben der Alliierten Besatzung nach der endgültigen Zerschlagung des Deutschen Reichs bis hin zu Berlin und die DDR.

Nachdem ich bei meinem Sammelgebiet Berlin tatsächlich nach kurzer Zeit Vollständigkeit in den Hauptnummern – man beachte die Einschränkung – erreicht hatte, erweiterte ich meine Sammeltätigkeit auf Heligoland und einige der geschlossenen Sammelgebiete Alliierte Besatzung. Den Schwerpunkt der Sammlung bildete bei mir die Französische Zone mit dem Saarland, liegen doch Baden wie auch Frankreich gerade ennet der Grenze am anderen Ufer des Rheins.

Kurz gesagt: Ich sammelte Kraut und Rüben. Der Grund, ein Sammelgebiet zu beginnen, war immer der gleiche: möglichst schnell Vollständigkeit zu erreichen. Wieder stolpern wir über diese Vollständigkeit, die in der Philatelie wie eine Seuche umgeht und – wie ich aus vielen Gesprächen weiss – viele Sammler befallen hat. Sind wir Sammler fremdgesteuert? Was drängt uns, eine wie auch immer geartete Vollständigkeit anzustreben? Zumindest, soweit es das Budget zulässt. Für Postanstalten ist dieses Streben nach Vollständigkeit ein grosser Reibach. Man reibt sich die Hände, begibt jedes Jahr immer mehr Marken mit sehr hoher Auflage, beklagt sich aber gleichzeitig über den Rückgang bei der Briefbeförderung.

Da frage ich mich doch: Für wen werden dann Briefmarken in Millionenauflage gedruckt? Dazu Markenheftchen, Rollenmarken, Markensets, Kleinbögen, Blockausgaben, Ersttagsbriefe, Ersttagsblätter, Numisbriefe, Maximumkarten, Jahreszusammenstellungen und und und.

Was ist der Wert all dessen? Den Wert, den bestimmt allein ihr, die Sammler. Den Preis dagegen, den ihr für eine Briefmarke bezahlen müsst,  den bestimmt der Markt. In der Regel durch das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage auf einem Handelsplatz. Solange die Philatelieabteilungen der Postanstalten die Nachfrage der Sammler auch Jahrzehnte nach der Erstausgabe einer Marke aus ihren Beständen in jeglicher gewünschten Qualität und Echtheit mehrfach decken können, – und das können die westeuropäischen Postanstalten in der Regel für sämtliche Ausgaben nach 1965 – dürfte die Nachfrage nach privaten Angeboten und damit die zu erzielenden Preise für Privatverkäufe niedrig bleiben.

Vor einigen Jahren begann ich, mich verstärkt auf die Markenausgaben des Saarlandes (1947-1956) zu konzentrieren und mich in die Geschichte der Französischen Besatzungszone sowie die überaus wechselvolle und spannende Geschichte des Saarlandes einzuarbeiten. Ich fand es interessant herauszufinden, weshalb bestimmte Briefmarken verausgabt worden waren, wer die Marken gestaltet hatte und wer die Marken wie und wo gedruckt hatte. Kennt ihr die Schnellpressenfabrik Albert & Cie. oHG, die Rotations-Tiefdruckmaschine Palatia O oder die Druckerei Franz Burda? Nein? Bleibt dran, bald werden euch diese Begriffe geläufig sein.

Beschäftige ich mich mit meinen Briefmarken, was öfter passiert, als es meiner Frau lieb ist, stellt sich bei mir die grösste Zufriedenheit dann ein, wenn ich mich mit den Feldmerkmalen und der Feldbestimmung (engl. plating) der 1. Offenburger Ausgabe beschäftige. Dieser nur 20 Briefmarken umfassende Briefmarkensatz ist auch heute, 70 Jahre nach der Erstausgabe, in allen Erhaltungen für kleines Geld in ausreichende Menge erhältlich. Tiefer und tiefer tauchte ich in die Materie ein. Ich fand Themen, Fragestellungen und Zusammenhänge aber auch Rätsel und Ungereimtheiten, von denen ich zuvor nichts geahnt hatte, von denen kein Katalog schreibt. Ich ersann Lösungsansätze und knüpfte in ganz Europa Kontakte. Der Blick über Grenzen erweiterte meinen Horizont. Nicht nur Deutsche, sondern Luxemburger, Niederländer, Belgier und insbesondere Franzosen beschäftigen sich mit Saarbriefmarken. Yvert & Tellier aus Amiens, salopp ausgedrückt der französische MICHEL®, listet die Saarbriefmarken sinnigerweise unter «Timbres des colonies françaises; Tome 2-1».

Die Aufbewahrung meiner mehrere Tausend Exemplare umfassenden Sammlung stellte eine neue Herausforderung dar. Zusammen mit einem Zubehörlieferanten erarbeitete ich über die letzten Monate eine für mich praktikable Lösung, die das Suchen auf ein Minimum beschränkt. Doch das wird Thema eines späteren – nicht ganz unproblematischen Beitrags über Partner beim Aufbau und Unterhalt einer Sammlung sein. Ich verspreche euch! Ich bleibe subjektiv und gehe einer Polemik nicht aus dem Weg.

Ich hatte meinen Weg in der Philatelie gefunden. Der Rest war einfach: Ballast abwerfen. Ich verkaufte alle Briefmarken und sämtliche philatelistischen Bücher, die nichts mit meinem Thema, den französischen Briefmarkenausgaben für das Territoire de la Sarre 1945-1947, zu tun hatten. Behalten habe ich nur wenige, meist sehr werthaltige Stücke, die für mich mit einer Geschichte verbunden sind, mit meiner Sammler-Geschichte.

Bis dann

#saarphila #saarphilatelie

Basiswissen Philatelie (I) – Freizeitbeschäftigung Philatelie?

Henry Wheeler Shaw hat gesagt: «Sei wie eine Briefmarke. Bleib an einer Sache dran, bist Du am Ziel bist.»

Ich sage: «Das Ziel eines Briefmarkensammlers ist die Freude und Zufriedenheit, die sich bei der Beschäftigung mit den kleinen bunten Papieren einstellt. Ein einfach zu erreichendes Ziel, dass man jedoch allzu schnell aus den Augen verliert.»

Hallo

Heute schreibe ich darüber, wie ich zum Briefmarkensammler wurde: «Es war einmal vor langer, langer Zeit.» Nein, so lange ist es auch wieder nicht her und ein Märchen ist es ebenfalls nicht.

Dennoch. Es ist erstaunlich. Ich erinnere mich nach all den – nicht gerade ereignislosen – Jahrzehnten noch gut an meine ersten Briefmarken. Meine unbeholfenen Versuche, diese kleinen gezackten Papierfetzen mit meinen Finger und – seltener – mittels einer Pinzette in einem kleinen Steckbuch unterzubringen. Meine Lieblingsmarken waren die einfarbigen Dauermarken.

©Sammlung Montclair
©Sammlung Montclair
©Sammlung Montclair

Manche zeigten Personen, manche Gebäude, manche hatten nur ein Design, z.B. einen Kopf mit prominenter Hornbrille, andere zeigten technische Geräte. Welcher Bub ist nicht von Technik fasziniert? Und ich hatte ja Zählen gelernt. Ich war sehr zufrieden mit mir, diese kleinen bunten Marken in die richtige – aufsteigende – Reihenfolge bringen zu können: 5, 7, 10, 15, 20 usw. Das kleine Steckbuch und meine Marken waren mein ganzer Stolz – zumindest für eine gewisse Zeit. Da ich nicht müde wurde, es allen, die es sehen wollten – oder es zumindest sagten – aber auch allen, die es nicht sehen wollten, zu zeigen, bekam ich von allen Seiten Nachschub an Briefmarken. Nach einiger Zeit spendierten mir meine Eltern sogar ein umfangreicheres Steckbuch.

Ich hatte damals nur ein Problem. Die hohen Werte waren aus der Familienpost oder der Post der Firmen, die man für Briefmarken anfragte, nicht zu erhalten.

©Sammlung Montclair
©Sammlung Montclair

Das Taschengeld reichte für diese teuren Briefmarken bei weitem nicht und Geldgeschenke zum Geburtstag oder ähnlichen Feiern landeten mit schöner Regelmässigkeit auf dem Sparbuch.

Mit der Pubertät verschoben sich meine Interessen weg von den Briefmarken hin zu «cooleren» Dingen, wie zum Beispiel … ihr habt richtig geraten, Mädchen.

Später traten die ernsten Dinge des Lebens in den Vordergrund: Matura, Militärdienst, Studium, Karriere. Briefmarken als Sammelobjekte verschwanden aus meinem Gesichtsfeld.

Mehr als dreissig Jahre später stand ich eines Tages im Karstadt in Kiel vor dem gut sortierten Briefmarkensortiment und die alte Faszination war auf einen Schlag wieder da. Für mich ist Briefmarkensammeln der Gegenpol zu unserer doch oftmals stark digitalisierten und schnelllebigen Welt. Die haptische Beschäftigung mit Briefmarken empfinde ich als bewusst zelebrierte Entschleunigung.

Ich habe einige Jahre benötigt, bis ich wusste, was ich sammeln und wie ich sammeln wollte resp. immer noch will. Im Verlauf dieses Prozesses habe ich mich allmählich vom Briefmarkensammler zum Philatelisten gewandelt. Dieser Wandel ist keine grosse Sache, eher ein schleichender Prozess. Vom Briefmarkensammler zum Philatelisten, das ist nur ein kleiner Schritt. Sobald das reine Sammeln auf Vollständigkeit, die in der Regel durch Kataloge oder Albumblätter vorgegeben wird, der Beschäftigung mit der Briefmarke an sich, mit ihrer (Entstehungs-) Geschichte und Funktion im geographischen wie historischen Umfeld weicht, ist es geschehen. Anders ausgedrückt: «Sobald beim Briefmarkensammeln die Reflexion über das eigene Tun einsetzt, scheinbar in Stein gemeisselte Vorgaben und Massstäbe in Frage gestellt werden, ist der Schritt zur historischen (Hilfs-) Wissenschaft Philatelie vollzogen.»

So, das war meine Geschichte, meine stamp story, wie es in dem wöchentlichen und empfehlenswerten Podcast Stamp Show here today so schön heisst.

Noch zwei Nachbemerkungen, die mit dem Thema dieses Beitrags nichts zu tun haben, aber mir wichtig sind:

  1. Die aufmerksamen Beobachter unter euch werden eine minime Änderung der Hintergrund- wie auch der Schriftfarbe festgestellt haben. Dies ist auf eine Angleichung an den einheitlichen Auftritt (Neudeutsch: Corporate Design) von Saarphila.de zurückzuführen.
  2. Die im Saarphilatelie-Blog und auf der Website von Saarphila.de geäusserten Meinungen sind niemals neutral. Im Gegenteil. Es sind die grundsätzlich subjektiven und manchmal polemischen Meinungsäusserungen eines Individuums, welches den eigenen Denkkasten nicht im Kindergarten am Haken hängengelassen hat und durchaus zu benutzen weiss.

Bis dann

#saarphila #saarphilatelie