Hallo
Im letzten Beitrag haben wir die historisch korrekte Zuordnung der nach Ende des Zweiten Weltkriegs für das Saarland ausgegebenen Briefmarken behandelt. Es gibt für den Zeitraum von 1946-1959 französische, saarländische und deutsche Briefmarkenausgaben.
Meine Geschichte des Saarlandes ist philatelistisch geprägt, wobei die Schwerpunkte der Darstellung auf der Zeit des Saargebiets 1920-1935 und der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg 1945-1959 liegen. Historiker werden die vielen Vereinfachungen und Auslassungen dieser Darstellung monieren. Ihnen sei gesagt, ich möchte ihren vielseitigen Werken an dieser Stelle keine Konkurrenz machen. Mein Zielpublikum ist nicht der Historiker, sondern der Briefmarkensammler.
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Geschichte des Saarlandes
Ich versuche, in den nachfolgenden Absätzen die Geschichte des Saarlandes mit wenigen Sätzen darzustellen. Etwas, was der Geschichtswissenschaftler einen Abriss nennt. Den Fokus dieser nicht durchgehend ernst gemeinten Darstellung – Humor macht das Lernen wie das Leben nicht einfacher, aber lustiger – lege ich auf die neueste Geschichte. Für das weitergehende Studium empfehle ich Geschichte des Saarlandes (1) aus der Reihe Wissen des renommierten Verlages C.H. Beck. Hier findet der Leser auch reichlich Literaturhinweise zur weiteren Vertiefung des Themas. Eine weitere interessante Quelle zur Geschichte des Saarlandes sind die saargeschichte|n, ein vierteljährlich erscheinendes historisches Magazin für das Saarland und die angrenzenden Regionen. Es wird herausgegeben vom Landesverband der historisch-kulturellen Vereine des Saarlandes sowie vom Historischen Verein für die Saargegend.
Vorgeschichte: Regionen, die klimatisch günstig gelegen sind, die gute Böden, ausreichend Wasser in Form von Seen, Bächen und Flüssen (Transport, Energiequelle) und Rohstoffe wie Holz, Kupfer, Eisen, Kohle aufweisen, sind seit jeher bevorzugte Siedlungsgebiete des Menschen. Es ist daher wenig verwunderlich, dass das Gebiet des heutigen Saarlandes schon vor über 300’000 Jahren von Menschen durchstreift wurde.
Stein- und Bronzezeit: In der Jungsteinzeit wurden die Menschen im ‹Saarland› mit der Zeit sesshaft. Die reiche Auswahl an Funden in saarländischen Museen zeugt von einer dichten Besiedlung des Raums zwischen Blies, Saar und Mosel. Auch die Schwerindustrie ist schon lange im Saarland ansässig. Eine Kupfermine bei St. Barbara, Wallerfangen wird auf das 2. Jahrtausend v. u Z. datiert. Bronzewerkzeug und Schmuck aus derselben Epoche zeugen von einer regen Metallindustrie.
1. Jahrtausend v. u. Z.: Die Kelten haben im Saarland nicht nur eindrucksvolle ‹Oppida› hinterlassen, sondern im 1. Jahrtausend v. u. Z. schon weitreichenden Handel vom Baltikum bis zum Mittelmeer getrieben.
100 v.u.Z. – 400 u.Z.: Die Römer kommen mit Gaius Julius Caesar nach Gallien resp. nach dessen Aufteilung unter Kaiser Augustus in die Region Gallia Belgica, zu dem auch die Region an der Saar gehört. Auf dem Gebiet des heutigen Saarlands finden sich viele Zeugnisse römischer Kultur, beispielsweise die Strassen von Metz nach Trier und Metz nach Mainz (auf diesen Strassen dürfte viel Post transportiert worden sein), die Villa Borg oder die Ausgrabungen im Europäischen Kulturpark bei Bliesbruck. Eine wichtige römische Gründung ist die Stadt Trier an der Mosel, benannt nach dem keltischen Stamm der Treverer. Trier ist zwischen 286 und 395 unserer Zeitrechnung kaiserliche Residenz und eine Hauptstadt des Römischen Reiches. So nah am Puls der Welt sind die Saarländer vorher und nachher nie wieder.
Um 600: Nach dem Untergang des römischen Reiches und dem Verschwinden der römischen Verwaltungsordnung tritt schon bald eine christliche Diözesanordnung an deren Stelle. Bekannte Missionare in der Saarregion sind Walfroy, Ingobert (St. Ingbert), Wendelin (St. Wendel), ein bekannter Bischof des Frühmittelalters der Bischof Liutwin (Abtei und Alter Turm, Mettlach).
800 – 1750: Ich möchte die Leser nicht mit der wechselvollen und extrem unübersichtlichen Geschichte der Saarregion im weiteren Verlauf des Mittelalters und der frühen Neuzeit langweilen. So viel sei gesagt: Das Land an Saar, Blies und Mosel befindet sich am Vorabend der französischen Revolution – der Zeit des Absolutismus l’etat c’est moi – am Rande des Königreichs Frankreich, der einflussreichsten kontinentaleuropäischen Grossmacht des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts.
Das Saarland ist zu der Zeit jedoch keine territoriale Einheit, sondern ist in kleine und kleinste Herrschaften aufgeteilt. Das ist in dieser Zeit generell nicht ungewöhnlich.
Europa ist zwischen der Grenze des Königreichs Dänemark im Norden, bis zum Königreich Sizilien im Süden, vom zaristischen Russland im Osten und dem Königreich Frankreich im Westen in zeitweise ca. 600 grössere, kleine und kleinste Herrschaften unterteilt. Viele dieser europäischen Herrschaften befinden sich gleichzeitig innerhalb der wechselnden Grenzen des feudal strukturierten Heiligen Römischen Reichs (HRR, seit 1512 inoffiziell mit dem Zusatz ‹deutscher Nation›), unter der Herrschaft eines Kaisers, der meist aus dem Hause Habsburg stammt. Seit 1495 gehören die im Saarland befindlichen Gebiete Nassau-Saarbrückens und Pfalz-Zweibrückens zum Oberrheinischen Reichskreis. Die saarländischen Territorien Kurtriers und Luxemburgs sind dem Burgundischen Reichskreis zugeteilt. Das saarländische Reichsdorf Michelbach, die saarländischen Reichsritterschaften und Reichsherrschaften sowie das Domkapitel Trier gehören keinem Reichskreis an. Das Heilige Römische Reich dürfen wir uns nicht als Staat nach heutigem Verständnis vorstellen, es ist nur wenig mehr als ein gemeinsamer Rechtsrahmen vieler oftmals sogar souveräner und vehement auf ihre Souveränität pochender Reichs-Herrschaften. Auch der inoffizielle Namenszusatz ‹deutscher Nation› führt schnell in die Irre. Mit dem uns heute bekannten Deutschland hat das nämlich gar nichts zu tun. Der Namenszusatz soll den Zeitgenossen nur vor Augen halten, dass das HRR zum grössten Teil aus Gebieten besteht, in welchen im allerweitesten Sinne deutsch gefärbte Dialekte gesprochen werden.
Ein Deutschland sucht man zu dieser Zeit vergeblich auf Landkarten und es existiert auch in den Köpfen der Zeitgenossen nicht. Selbst der Spruch: «ein Bayer ist ein Bayer und ein Preuss ein Preuss», trifft – noch – nicht zu.
Denn ein Franke versteht sich schon damals nicht als Bayer …
… und ein Ostfriese nicht als Preusse.
Es sollte noch bis ins 19. Jahrhundert dauern, bevor Deutschland von Denkern der Romantik als Idee geboren und als Möglichkeit gedacht wird. Selbst dann benötigt es einige Kriege, bis so etwas wie Deutschland – bis 1918 immer noch aus diversen Königreichen, Herzogtümern, Fürstenhäusern bestehend – aufgrund des unbändigen Machtwillens eines einzelnen Politikers auf einer Landkarte erscheint. Eine bis heute nicht nur für den europäischen Kontinent und Aber-Millionen von Menschen fatale, weil nicht nur kriegerische, sondern alles militärische verherrlichende Entwicklung, welche die friedliche Entwicklung der Saarregion gleich in mehrfacher Hinsicht hemmen wird.
Uns ist heute klar, dass die Saarregion in der Ausdehnung des heutigen Saarlandes nicht gerade gross ist – etwas der Saarländer jedoch verständlicherweise anders empfindet. Durch die diversen Herrschaftsgebiete wird dieser ohnehin kleine Raum zusätzlich zersplittert, was die Mobilität, den Postverkehr, den Warenaustausch, den Handel und die – sicherlich nicht ausschliesslich positiv zu beurteilende – Industrialisierung der Region massiv erschwert. Ich füge eine Aufzählung der verschiedenen Herrschaften im Gebiet des Saarlandes um das Jahr 1780 an und hoffe, keine übersehen zu haben:
- Domkapitel Trier
- Grafschaft Nassau-Saarbrücken
- Grafschaft Saarwerden (Teil der Gft. Nassau-Saarbrücken)
- Herrschaft Blieskastel
- Herrschaft Dagstuhl, bestehend aus
- Hochgericht Neunkirchen
- Hochgericht Primsweiler
- Hochgericht Schwarzenberg
- Hochgericht Wadern
- Herrschaft Eberswald (Sötern)
- Herrschaft Hüttersdorf (Ritterkanton Niederrhein)
- Herrschaft Illingen (Ritterkanton Niederrhein)
- Herrschaft Münchweiler (Ritterkanton Niederrhein)
- Herrschaft Oberkirchen (Ritter von der Leyen)
- Herrschaft Saarwellingen (Grafschaft Ostfriesland)
- Herrschaft Schwarzenholz
- Hochgericht Nalbacher Tal
- Hochstift Trier
- Herzogtum Luxemburg
- Herzogtum Pfalz-Zweibrücken (Wittelsbacher; Herzog Karl I., als Karl XI. König von Schweden)
- Königreich Frankreich
- Reichsdorf Michelbach
- Vierherrschaft Lebach (Kondomium)
Postwesen: Die Postbeförderung war grösstenteils in der Hand des Hauses Thurn und Taxis, resp. der französischen Post. Es bestanden die nachstehenden Poststationen:
- Homburg (1739)
- Saarbrücken (1742)
- Saarlouis (französische Post)
- St. Ingbert (bis 1763) danach Rohrbach
- Blieskastel (1788)
1789: Revolution! Die Französischen Revolution bricht sich Bahn, auch im Saarland (2). Diese revolutionäre Bewegung und die sich daran anschliessende Napoleonische Zeit (Konsulat und Kaiserreich) würden den europäischen Kontinent liberalisieren sowie territorial neu ordnen wie es zuvor nur Alexander dem Grossen in Griechenland, Kleinasien, Ägypten und den Ländern am Hindukusch gelungen war.
1794: Die französische Revolutionsarmee hat die gesamten linksrheinischen Territorien besetzt (3). Das gesamte Gebiet von Basel bis Kleve wird in die Republik Frankreich eingegliedert. Das gesamte Saarland – seit 1798 bis auf das im Departement du Mont Tonnere gelegene Homburg Teil des Département de la Sarre – kommt somit frühzeitig in den Genuss von Freiheit sowie der Gleichheit aller Bürger vor dem Recht, symbolisiert durch die Einführung des Code Civil sowie der anderen vier Gesetzbücher. Mit einem Schlag entfallen Feudallasten wie Frondienst, aber auch der Zehnte sowie aufgrund der Gewerbefreiheit die Zunftordnungen.
Hauptort des Départements de la Sarre ist Trier. Saarbrücken erhält 1800 den Sitz einer Unterpräfektur des gleichnamigen Arrondissements, bestehend aus den Kantonen (4) Arnual, Blieskastel, Lebach, Ottweiler und St. Wendel. Geistlicher – bspw. Abtei Wadgassen, Stift Sebastian oder Abtei Mettlach – und adeliger Besitz werden enteignet und als Nationalgüter versteigert. Die Gebrüder Stumm, bereits Besitzer der Abentheurer- und der Asbacherhütte, bilden in dieser Zeit durch den Erwerb von Hüttenwerken und Schmelzöfen im Saarbecken die Grundlage für den späteren Montankonzern.
1803: Durch die Verabschiedung des Reichsdeputationshauptschlusses verringert sich die Anzahl Herrschaften durch Säkularisation und Mediation massiv. Von ehemals 51 freien Reichsstädten bleiben beispielsweise ganze vier (!) übrig. Die Territorien der aufgelösten Herrschaften werden unter den angrenzenden Fürstentümern verteilt. Fürsten, die Napoléon unterstützen oder diesem nicht im Wege stehen, erhalten Territorien und werden auch im Rang erhöht (aus einem Kurfürsten wird dann ein König, aus einem Grafen ein Grossherzog etc.). Wer dagegen Napoléon bekämpft, wird erniedrigt.
1815 -1864: Nach der Niederlage Napoléons 1815 setzt mit dem Wiener Kongress die Restauration, die Wiederherstellung der feudal-ständischen Ordnung ein. In Wien wird monatelang – unterbrochen von der kurzen Rückkehr Napoléons – nicht nur gehurt und getanzt, sondern in erster Linie um Territorien, Einkünfte und Einfluss geschachert. Dieses Geschacher hat auch territoriale Auswirkungen auf die Region an der Saar, welche unter zwei Königreichen und zwei Herzogtümern aufgeteilt wird. Der grösste Anteil des heutigen Saarlands geht an das Königreich Preussen (5), der südöstliche Zipfel um Blieskastel und Homburg wird dem – Ironie der Geschichte – durch Napoléon erst 1805 beim Friedensschluss von Pressburg geschaffenen Königreich Bayern zugeschlagen. Das Grossherzogtum Oldenburg erhält das Territorium um Nohfelden und Sötern (Fürstentum Birkenfeld), dem Herzog Ernst von Sachsen-Coburg wird für seine Verdienste das Gebiet um St. Wendel (später Fürstentum Lichtenberg) zugesprochen. Gemeinsam ist diesen fremden Herren bloss eines: für sie sind die Saarländer aufgrund ihrer politischen Erfahrung und ihrer räumlichen Nähe zum Mutterland der Revolution unsichere Kantonisten.
Postwesen: In der Bayerischen Pfalz, also auch für das südöstlichen Saarland, ist ab 1816 das Oberpostamt Speyer zuständig. Seit 1849 – Stichwort: Schwarzer Einser – werden auch hier immer häufiger bayerische Briefmarken zur Freimachung von Briefen verwendet. Es vollzieht sich der Übergang von der vorphilatelistischen zur philatelistischen Epoche. Die Zuständigkeit der bayerischen Post bleibt offiziell bis zum 10. Januar 1920 bestehen, auch wenn sich die Posttarife denen des Norddeutschen Postbezirks und später der (kaiserlichen) Reichspost angleichen.
Oldenburg verfügte bereits zur Zeit des Heiligen Römischen Reiches über ein eigenes Postwesen und behält diese in den Provinzen Oldenburg und dem Fürstentum Lübeck. Im Fürstentum Birkenfeld ist auf Grund eines Vertrages vom 4. August 1817 das Haus Thurn und Taxis mit der Postversorgung betraut.
Das Fürstentum Lichtenberg wird am 31. Mai 1834 vom Herzogtum Sachsen-Coburg an das Königreich Preussen verkauft, welches das Territorium dem Regierungsbezirk Trier zuweist. Durch diesen Verkauf befand sich das Fürstentum Birkenfeld von preussischem Gebiet umgeben und wurde nach Ablauf des Vertrages mit Thurn und Taxis ab 1. November 1837 von der preussischen Post mitversorgt. Am 1. Januar 1868 gibt das Grossherzogtum Oldenburg sein eigenes Postregal auch in seinen sonstigen Gebieten auf.
Das Postwesen in Preussen ist wie alles, was aus Berliner Amtsstuben kommt, durchreglementiert bis zum letzten Komma, kompliziert und unverständlich. Ein Paragrafendschungel par excellance. Der interessierte Sammler findet hier einen Ausgangspunkt für eine jahrzehntelange Beschäftigung mit toten Buchstaben. Ich erspare Ihnen an dieser Stelle diese Tortur.
Es wurden die nachstehenden Postämter errichtet:
- Merzig (1816)
- Ottweiler (1817)
- St. Wendel (1817)
- Lebach (1833)
- Perl (1833)
- Tholey (1833)
- Losheim (1835)
- Wadern (1835)
- Nohfelden (1837)
- Mettlach (1840)
- Heusweiler (1844)
- St. Ingbert (1844, war 1763 nach Rohrbach verlegt worden)
- Völklingen (1848, vormals bis 1815 französische Post)
- Ensheim (vor 1861)
- Mittelbexbach (vor 1861)
- Schiffweiler (1868)
Nochmal einen kleinen Schritt zurück in das Jahr 1815. Vertreter von 34 souveränen Fürsten und der vier freien Städte Bremen, Frankfurt, Hamburg und Lübeck schliessen 1815 den Deutschen Bund, eine lose Vereinigung, mit dem Ziel, die vornapoleonischen, feudalen Herrschaftsstrukturen, die durch den Wiener Kongress unverhofft ein zweites Leben erhalten hatten, zu bewahren und zu festigen. Der Deutsche Bund garantiert unter anderem die Souveränität der einzelnen Mitgliedsstaaten. Garantiemächte dieses – heute von vielen leichtgläubigen Romantikern als Vorläufer Deutschlands verklärten – Deutschen Bundes waren das Kaisertum Österreich (gleichzeitig mit einigen wenigen Territorien Mitglied), Russland, das Vereinigte Königreich (gleichzeitig mit dem Königreich Hannover Mitglied) sowie die Königreiche Portugal, Preussen (gleichzeitig mit einigen Territorien Mitglied), Schweden und Spanien. Wie wir sehen werden, ist diese von den Garantiemächten abgegebene Garantie nicht das Papier wert, auf dem es niedergeschrieben wurde.
1864: Der preussische Ministerpräsident Otto von Bismarck (vgl. Abb.) schürt bewusst die latent vorhandenen Spannungen zwischen dem Königreich Dänemark und dem Deutschen Bund hinsichtlich eines Mitgliedsstaates des Deutschen Bundes, des Herzogtums Holstein (6). Zusammen mit Österreich besetzt Preussen in diesem Konflikt erst das Herzogtum Holstein und dann die dänische Provinz Schleswig. Das besetzte Herzogtum Holstein wird – die garantierte Souveränität der Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes ist offensichtlich wertlos – Österreich zugeschachert, Preussen annektiert im Gegenzug das dänische Schleswig.
1866: Der preussische Ministerpräsident Otto von Bismarck will in absehbarer Zukunft ein Deutschland unter Führung des Königreichs Preussen schaffen; jedoch ohne das Mitglied des Deutschen Bundes Österreich. In geheimen Absprachen mit Frankreich und dem Königreich Italien verpflichtet er mit blumigen Versprechen ersteres zur Neutralität und letztes zur militärischen Unterstützung. Ein Streit um die Verwaltung des zwei Jahre zuvor besetzten Holstein lässt er bewusst soweit eskalieren, bis die Garantiemacht des Deutschen Bundes Preussen einen Krieg gegen denselben von Österreich angeführten Deutschen Bund vom Zaun brechen kann (Preussisch-Deutscher Krieg). Das Königreich Preussen – Souveränitätsgarantie hin oder her – annektiert die folgenden Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes:
- Königreich Hannover
- Herzogtum Holstein
- Herzogtum Nassau
- Kurfürstentum Hessen
- Freie Stadt Frankfurt.
Flugs gründet das Königreich Preussen 1866 aus seinem gewaltsam erweiterten Einflussgebiet und einigen zugewandten Herrschaften nördlich des Mains den Norddeutschen Bund. Ein Militärbündnis, welches sich ein Jahr später eine Verfassung gibt, welche Preussens Dominanz und den Vorrang des preussischen Königs in diesem Bund festschreibt.
Nettes, wortbrechendes Völkchen, diese Preussen, denken sich die Zeitgenossen und beobachten seit dem Krieg Preussens gegen den Deutschen Bund – verständlicherweise, denn das preussische Unheil kann jeden Moment den Nächsten treffen – jeden weiteren politischen Schritt, jede weitere Berliner Eskapade mit Argusaugen. Das von „deutschen“ Politikern bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieg ständig bejammerte Misstrauen, mit welchem die europäischen Staaten erst Preussen, dann dem Norddeutschen Bund und später dem deutschen Kaiserreich begegnen. In den Wortbrüchen von 1864 und 1866 hat dieses Misstrauen ihre berechtigte Ursache. Selbst das enorme diplomatische Geschick eines Otto von Bismarck kann dieses Misstrauen für eine gewisse Zeit bloss einhegen, aber niemals ganz ausräumen. Denn jedem seiner vielfältigen Gesprächspartner ist bewusst, dass es der Wortbrecher selbst ist, der nun versucht, mit Engelszungen zu reden.
Postwesen: 1868 wird – wie kann es anders sein – unter Führung Preussens und damit der paragrafenverliebten Beamten der Preussischen Post der Norddeutsche Postbezirk aus der Taufe gehoben. Für die bayerische Pfalz und damit den südöstlichen Zipfel des Saarlandes bleibt alles wie es war. Für das Oldenburger Fürstentum Birkenfeld und den preussischen Teil des Saarlandes ändert sich ebenfalls wenig bis gar nichts, sind es doch die Preussen, die im Norddeutschen Postbezirk das Sagen haben.
1870: Der preussische Ministerpräsident Otto von Bismarck düpiert – bewusst auf Krieg spekulierend – Kaiser Napoléon III. von Frankreich durch eine übertriebene Darstellung des Treffens zwischen König Wilhelm I. von Preussen und dem ziemlich undiplomatisch agierenden französischen Botschafter Vincent Benedetti in Bad Ems. Im darauffolgenden, neun Monate währenden Krieg werden über 400’000 Menschen getötet oder verwundet; die französischen Gebiete Elsass sowie Lothringen von Preussen besetzt.
1871: Im Spiegelsaal von Versailles – also wohlgemerkt in Frankreich, nicht in Bayern, Württemberg, Sachsen, Baden oder Preussen – wird das Deutsche Kaiserreich unter der Führung König Wilhelms I. von Preussen (resp. unter der Führung des preussischen Ministerpräsidenten Bismarck, der im weit verbreiteten Bild im Mittelpunkt steht) ausgerufen.
Die besetzten Gebiete Elsass und Lothringen werden annektiert und als Reichsland Elsass-Lothringen dem soeben gegründeten Deutschen Kaiserreich angegliedert. Wie sehr viele Vorkommnisse und die hauptsächlich militärischen Zwecken dienenden baulichen Massnahmen zeigen, das Reichsland bleibt nicht nur in den Berliner Köpfen, sondern auch im Berliner Handeln sehr lange besetztes Feindesland. Für das Saarland ändert sich dagegen nichts, es bleibt aufgesplittert zwischen dem Königreich Preussen, dem Königreich Bayern und dem Grossherzogtum Oldenburg. Einzig den traditionellen Nachbarn im Süden, Frankreich, den gibt es nicht mehr.
Postwesen: Für Bayern resp. für die bayerische Pfalz ändert sich – wie 1868 – fast nichts. Nur die preussischen und oldenburgischen Landesteile des Saarlandes werden nun von der kaiserlichen Reichspost versorgt, anstatt durch den Norddeutschen Postbezirk. Wirkliche Änderungen entstehen dadurch weder personell noch reglementarisch.
Das Saarland ist zur Zeit der Gründung des Kaiserreiches bereits seit einigen Jahrzehnten in sozialer Hinsicht Vorreiter in ganz Europa. Die qualifizierte Stammarbeiterschaft ist ein wichtiger Standortfaktor für sämtliche Industrien. Insbesondere die Berg- und Hüttenarbeiter stammen aus der näheren Umgebung der Gruben und Werke. Die preussische Bergbehörde veranlasst früh umfangreiche Sozialmassnahmen, die den Wohnungsbau, die medizinische Versorgung, die schulische Bildung, die Weiterbildung, günstige Versorgung für den täglichen Bedarf und das Knappschaftswesen (Invaliden- und Altersvorsorge) umfassen. Betriebe wie die Eisenwerke Stumm oder das Keramikwerk Villeroy & Boch bieten den Beschäftigten rasch ähnliche soziale Einrichtungen.
Das Kohlerevier an der Saar wird ab 1890 in verschiedenen Korrespondenzen als Saarrevier resp. als Saargebiet bezeichnet. Aufgrund der beherrschenden Stellung der Familien Stumm-Halberg und Röchling erhielt das Saarland auch weniger schmeichelhafte Bezeichnungen wie Königreich Stumm oder Saarabien.
Noch existiert das Saargebiet oder das Saarland als Entität, als territoriale Einheit nicht. Es ist bloss ein Begriff in der Korrespondenz. Dieser Zustand wird sich in absehbarer Zeit ändern.
Davon mehr im kommenden Beitrag.
Bis dann
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Anmerkungen
(1) Behringer, Wolfgang; Clemens, Gabriele: Geschichte des Saarlandes, München 2009, ISBN 978 3 406 584565
(2) 1789 kommt es zu Aufständen in der Grafschaft Saarwerden und in Blieskastel, die mit Truppen des Oberrheinischen Reichskreises für kurze Zeit niedergeschlagen werden können.
(3) Die linksrheinischen Gebiete wurden 1795 von Preussen im Frieden von Basel und 1797 von Österreich im Frieden von Campo Formio abgetreten. Völkerrechtlich verbindlich wurden diese Abtretungen 1801 durch den Frieden von Lunéville.
(4) Ein Kanton ist eine französische Verwaltungseinheit.
(5) Das preussische Saarland gehörte zum Regierungspräsidium Trier als Teil der Rheinprovinz. Der Oberpräsident residierte in Koblenz.
(6) Der König von Dänemark Christian IX., oft als Schwiegervater Europas tituliert, war in Personalunion Herzog von Holstein und Mitglied des Deutschen Bundes
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